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Dienstag, 18. April 2006

Heinz

Wenn Heinz den Laden betrat legte sich für die anwesenden Kunden regelmäßig eine dunkle Wolke aus Schnaps und Tabak, auf den spiegelnden Boden der Drogerie, in der Emma arbeitete.
Für sie jedoch, ging die Sonne auf.
Heinz schritt schlendernd durch den Laden und Emma war sich immer sicher, dass er bemerkte, wie alle bei seinem Anblick die Luft anhielten. Er war sicher zwanzig Jahre jünger als er aussah und er war zwanzigmal höflicher als alle Kunden, die Emma jemals hatte. Sein fettiges dünnes Haar klebte an seinem hageren Kopf, wenn er die Strickmütze abnahm. Das tat er immer, weil es für ihn eine Notwendigkeit war und seinen Respekt demonstrierte. Die schwarze Mütze mit Mottenlöchern stopfte er dann in den alten ranzigen Parka und griff den wöchentlichen Grund seines Besuches aus der Innentasche.
Der Drogerie waren eine Abteilung mit Zeitschriften und eine Lottoannahmestelle angeschlossen, und Heinz versuchte regelmäßig sein Glück. Nicht nur damit er sich endlich die lückenhafte Knabberleiste reparieren lassen könnte oder sich mal ein ordentliches Paar Schuhe leisten würde, wünschte Emma keinem mehr einen dicken Lottogewinn, als dem Heinz.
Seine Stimme knarrte wie eine rostige Gießkanne und er sprach stets laut und mit der galanten Art eines Gentlemans.
„Einen wunderschönen guten Tag, schöne Frau.“
Spätestens jetzt wurde jeder auf Heinz aufmerksam und alle schauten erwartungsvoll zu Emma. Sie wusste was sie dachten und als Heinz das erst mal so vor ihr stand erging es ihr ähnlich. Erst als ein vermuteter lauter Rülpser oder eine Jägermeister - Fontaine ausblieb, ließ die Anspannung langsam nach. Das von jedem erwartete Lallen oder zweideutige Stammeln blieb ebenfalls aus und so beschränkten sich die Blicke auf sein Äußeres.
Heinz war immer frisch rasiert und gekämmt. Seine furchige Lederhaut war von Wind und Wetter gegerbt und hätte auch nach einer Behandlung mit einer Wurzelbürste, nicht den Eindruck vermittelt, er wäre ein gepflegter Mann. Sein Kopf erschien viel zu klein und die wenigen dunklen Haare, die sorgfältig zur Seite gescheitelt waren, sahen aus, als hätte man ihm mit brauner Schuhcreme eine Frisur an den Kopf gepinselt.
Heinz hatte Ordnung in seinen Unterlagen, er spielte immer drei verschiedene Scheine und ließ die, der Vorwoche kontrollieren. Seine großen knochigen Hände sortierten schnell und geschickt seine Lottoscheine und legten Emma stets auf den Cent genau, das Geld hin. Scheine in eine Richtung mit dem Gesicht nach vorne und Münzen sauber nebeneinander.
„Das gehört sich so, wenn man ein ordentlicher Mensch ist.“ Krächzte er, wenn Emma betonte wie gut es mit ihm zu arbeiten ist.
„Ach Frau Emma, wenn ich gewinne, dann bekommen sie einen großen Teil davon ab. Ich möchte, dass sie in den Urlaub fahren, nein, eine Weltreise, jawohl ein Reise um die ganze Welt schenk ich ihnen.“
„Ach Heinz, sie wissen dann bestimmt besseres mit dem Geld anzufangen als mich um den Globus zu schicken.“
„Ich? Ach was, ich habe doch alles was ich brauche und solange ich gesund bin und hier und da mal einen Garten richten kann, bin ich zufrieden.“
„Oh, sie sind Landschaftsgärtner?“
„Ja, nein, also ich mach halt was so anfällt, Bäume schneiden und Beete umgraben, Pflanzen setzen. Letzte Woche hab ich für den Dengelmann eine Hecke gesetzt. Die Leute haben doch alle keine Zeit für diese Arbeit und ich verdien mir so ein paar Euro. Wunderschöne Gärten haben die Leute, prächtige Häuser aber ihnen fehlt die Muse, Frau Emma, die Muse sich darum zu kümmern. Ich mach das gerne und Regen oder Kälte stören mich nicht.“
„Das hört sich prima an Heinz, eine schöne Arbeit ist das.“
„Das ist es Emma, und das Beste ist: ich hab meine Ruhe dabei.“
„Schön, kann ich sonst noch was für sie tun?“
„Gnädige Frau, eine Frage hätte ich: letzte Woche hat es hier so wundervoll geduftet, sagen sie mir was das war, ich musste immer daran denken und hab mich geärgert, dass ich nicht gleich gefragt habe.“
Emma überlegte und erinnerte sich an ein Körbchen, dass sie mit der edelsten Seife bestückte und das am Kassentisch stand.
„Sie meinen sicher die Seife, Heinz.“
Sie ging um das Körbchen zu holen:
„Das ist original Bronnley Seife, die beliefern sogar das britische Königshaus.“
„Jaaaa, das ist der Duft. Da nehme ich doch gleich zwei Stück mit.“
Ein wenig stutzte Emma, denn die meisten Kunden schreckten bei den zwölf Euro für ein Stück Seife zurück.
„Soll ich ihnen das hübsch als Geschenk verpacken?“
„Nicht nötig Frau Emma, machen sie sich keine Mühe, ich hab sie schon viel zu lange aufgehalten. Ich schieb die hier in die Jackentasche.“
Heinz bezahlte und ließ die zwei edlen Seifenstücke in die Parkatasche gleiten, nachdem er seine löchrige Strickmütze rausangelte und auf den Kopf stülpte, ohne vorher zu vergessen, den Scheitel noch mit der flachen Hand zu fixieren.
„Emma ich danke und wünsche ihnen ein wundervolles Wochenende. Es hat mich sehr gefreut, sie bei bester Gesundheit zu sehen. Bis nächsten Freitag, schöne Frau.“
Heinz ging aus dem Laden und wieder wusste Emma, dass er die Blicke der Menschen registrierte, doch vornehm und galant wie er nur konnte, ignorierte er selbst das reflexartige Zurückweichen einer Kundin, als er an ihr vorbei ging.
Heinz sah so aus, aber nie vernahm Emma nur den kleinsten Hauch von Schweiß oder Nikotin. Er roch nach frischer Luft und ab und zu nach einem Bierchen.
Von diesem Tag an aber, war Heinz nicht nur der freundlichste und liebenswürdigste Kunde in Emmas Drogerie, sondern der bestduftendste Mann weit und breit. Anscheinend wusch sich Heinz von Kopf bis Fuß mit dem edelsten Seifenstück, das Emma je verkauft hat.
Es war kein Geschenk, nein, er benutzte das traumhaft nach Passionsblumen duftende Waschstück, für sich selbst und wenn Emma mal im Lager war und Heinz verpasste, konnte sie an diesem Duft erkennen, dass er hier war.
Die Passionsblumen sah man Heinz nicht an, doch dieses Odure, auch wenn es sehr feminin war, passte zu keinem so gut wie zu ihm.
Es kam nicht nur einmal vor, dass ein Kunde, der eben noch Luft anhaltend in der Reihe stand, tief einatmete, um dann genießerisch zu bemerken:
„Hier riecht es aber gut, total angenehm nach Blüten oder so.“
„Ja, richtig, Passionsblumen, sehr edel und elegant.“

Eben wie Heinz.

Fliegenpilze

Emmas Grundregeln lauten: „Nichts persönlich nehmen“ und „nicht provozieren lassen“.
Schwierig wird es für sie jedoch, wenn es um Stammkunden geht, die grundsätzlich den Brechreiz im Schlepptau haben.
Nein, das darf man nicht sagen, das darf Emma eigentlich nicht einmal denken, und doch sind sie da: diese Aversionen gegen bestimmte Damen und Herren.
Ist erst einmal ein Kotzgrundstein gelegt, wird es zunehmend schwieriger sich aus der Situation zu retten und auf die goldenen Regeln zu vertrauen.
Doch wie entstehen diese allergischen Reaktionen?
Es gibt sie einfach, die Individuen, die Emma einen Schauer über den Rücken jagen, wenn sie an der Kasse mindestens zehnmal, ihren Riechkolben mit lautstarker Aufzugstechnik belüften oder einem mit jeder Geste zu verstehen geben, was dies für ein Sauladen ist.
Sie beben förmlich vor Entrüstung, dass die ersten Idioten ihren stinkenden Grill anwerfen und junge Mädchen alle an Nierenversagen sterben oder auf dem Strich landen werden, wenn sie so kurze Hemdchen tragen.
Emma hat gelernt auf den Kunden einzugehen, ihm zuzuhören und bedingungslos seine Meinung zu teilen, oder einfach durch Nicken zu bestätigen. Manchmal nimmt sich Emma jedoch heraus, schweigend mit den Schultern zu zucken.
Dieser wortlose Widerspruch, gegen die Parole: Alle Ausländer sind faul und stinken, löste bei Frau Wagenmüller eines Tages den Krieg gegen Emma aus. Wie gerne hätte Emma damals etwas gesagt, aber weil sie wusste wie die Wagenmüller austicken kann, hatte sie sich fest auf die Zunge gebissen und versucht, diese Anmerkung zu ignorieren.
Die Wagenmüller ist eine Frau Mitte Fünfzig und ihre schmalen Lippen sind ständig damit beschäftigt, sich als waagerechter, blutleerer Strich, im Gesicht zu verstecken. Die kleinen Augen flüchten ständig und beobachteten alles aus dem Hinterhalt. Sie beherrscht die Kunst, wie ein Pilz aus dem Boden zu schießen, um gleich wieder in ihrer Deckung zu verschwinden. Egal was die Wagenmüller sagt, es ist reines Gift.
Selbst ein freundliches:
„Guten Tag Frau Wagenmüller“ ist für sie die Aufforderung ihren Stachel in Position zu bringen:
„ Guten Tag“ äfft sie dann häufig nach. „Was soll an einem Tag schon gut sein, wenn man nachts kein Auge zumacht, nur weil es Mütter gibt, die nicht in der Lage sind ihren Balg still zu kriegen. Gestern haben die Gören im Treppenhaus sogar Ball gespielt. Aber das juckt keinen. Asoziales Pack, elendiges.“
So war es auch an diesem Tag am besten für Emma, sich unsichtbar zu machen und nur noch im absoluten Notfall, etwas zu sagen.
„Die Weintrauben sehen aber auch nicht gerade gut aus, da hat ja schon jeder drin rumgematscht, haben sie noch andere?“
„Nein leider nicht.“
Emma zupfte ein paar kleine fleckige Tauben ab und legte die nächste Lage des Kartons, für Frau Wagenmüller, frei. Die hob jede Staude hoch, um sie verächtich zurück fallen zu lassen und nahm dann doch von den ersten, die einfach reifer waren.
„Woher kommt der Salat?“
„Frankreich“
Der knackige Salatkopf landete unsanft wieder in der Kiste.
„Den ess ich nicht. Den Franzosen trau ich nicht. Haben sie keinen Deutschen?“
„Nein, im Moment nur den hier.“
Grundsätzlich ist für sie alles einfach nur Dreck, zu teuer, vergiftet und zum kotzen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum sie seit Zehn Jahren dreimal die Woche kommt. Emma war erst ein halbes Jahr hier, und nahm die Giftschleuder einfach hin. Schließlich lauerte die Wagenmüller vom ersten Tag an darauf, der Neuen, die wahrscheinlich eh nichts taugt, anständig das Kotzen beizubringen.
Endlich schien der Feldzug ein Ende zu nehmen und Emma kassierte.
„Möchten sie noch die neue Monatszeitschrift des Hauses mitnehmen?“
Die giftigen Schweinsäuglein wurden erst so groß, wie sie Emma noch nie gesehen hatte, um sich dann zu zwei gehässigen Schlitzen zusammen zu pressen.
Auf dem Titelblatt lachte ein bekannter, fast kahlköpfiger Fernsehkoch mit dunkler Nickelbrille.
„Was? Mit dem da?“
„Es sind sehr leckere Rezepte und prima Tipps drin.“
„Ich kann dem seine Fresse nicht leiden, der redet auch nur dummes Zeug daher. Und außerdem ist der schwul! Pfui Teufel!“
Emma war mittlerweile schlecht vor Wut und die Tatsache, dass sie jetzt nicht aufspringen konnte, um der alten Schrapnelle einfach eine auf ihre dämliche Zwölf zu geben, trug nicht zu einer Besserung ihres Zustandes bei.
„Das macht dann sechzehn Euro und neunundachtzig Cent“ würgte Emma hervor.
Die Wagenmüller zückte ihr Portemonnaie, nahm einen Zehner und einer Fünfer raus und befahl:
„Den Rest suchen sie sich hier zusammen, ich kann das rote Gelumpe nicht mehr sehen, macht einem nur den Geldbeutel kaputt, das scheiß Kleingeld, dieser Drecks-Euro.“
Sie klappte ihre ranzige Börse auf und legte sie vor Emma hin. Etwas verdutzt von dieser Aufforderung, zögerte Emma in das Portemonnaie zu fassen.
„Hier, das wird wohl reichen“ schnaubte die Alte und schüttete den ganzen Inhalt aus.
Emma kam nach der ganzen Sortiererei nur auf einen Betrag von sechzehn Euro und zweiundsechzig Cent.
„Es reicht nicht ganz Frau Wagenmüller, es fehlen noch siebenundzwanzig Cent.“
Langsam kochte das Ekel vor Wut und ihr Mondgesicht färbte sich giftig rot, die Strichlippen zitterten und glänzten vom Hassspeien, als sie einen Zwanziger aufs Band knallte.
Emma biss die Zähne zusammen und gab ihr das Rausgeld.
Die Xanthippe machte jedoch keine Anstalten zu gehen und Emma spürte die gewaltige Ansammlung des Zorns, während sie schon begann die nächste Kundin zu kassieren.
„Würden sie mir endlich eine Tüte geben „ bellte es.
Emma griff nach unten um eine Plastiktüte zu nehmen und beschloss, dass es nun Zeit für die Rache der kleinen Frau ist.
„Das macht dann noch mal zehn Cent.“
Nun war die Wagenmüller endgültig am Ende. Schweißnasse Haarsträhnen hingen ihr ins puterrote Gesicht. Sie zerrte erneut das Portemonnaie aus der Manteltasche und kramte diesmal selbst nach den zehn Cent, weil Emma schon mit dem nächsten Kassiervorgang beschäftigt war.
Lauter „rotes Gelumpe“ purzelte übers Band und Emma sah beim Aufsammeln kleine feuchte Sprenkel auf dem schwarzen Gummi. Die Wagenmüller schäumte vor Wut:
„Diese zehn Cent machen sie auch nicht reicher.“
„Nein, mich sowieso nicht. Aber eine Tüte kostet eben und ich muss…“
„Sie müssen, sie müssen. Seit Jahren kauf ich hier ein, bin eine gute Kundin und für eine Tüte musste ich noch nie etwas bezahlen. Das ist eine bodenlose Sauerei. Ich werde in Zukunft wo anders hingehen. Soll der Laden hier doch verrecken, wenn ihnen die Kunden davon laufen!“
Sie explodierte wie ein giftiger Pilz aus dem Laden.
Seither kommt sie seltener doch es ist nur eine Frage der Zeit, wann es eine erneute Schlacht gibt und Emma von ganz oben eine Abmahnung erhält.
Denn eine echte Wagenmüller bekommt was sie will.

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