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Miss Verständnis

„Es ist ein Mädchen!“
Ein zuckersüßes, goldiges Mädchen, das schon nach kürzester Zeit den ersten großen Fehler begeht: Es lächelt freundlich.
Hinter dieser grandiosen Fähigkeit, der wohlgesinnten Kontaktaufnahme mit seiner Umwelt, verbirgt sich ein folgenschwerer Geburts-Defekt. Das Emma-Gen.
Die Tatsache allein wäre noch keine ernsthafte Bedrohung, doch wie so oft im Leben einer Frau, spielt das Schicksal eine bedeutende Rolle. Nämlich dann, wenn am vierten Geburtstag ein Kaufladen mit allem Pipapo, fertig aufgebaut im Kinderzimmer steht.
Noch erleuchtet Winnie the Pooh die ersten Kassiervorgänge, doch schon bald wird grelles Neonlicht die unschuldige Haut, freundlich aber fahl schimmernd, in den Dienst der Menschheit stellen.
Richtungweisend und gefährlich sind auch die folgenden Jahre, in denen oft exzessiv geübt wird, wie man mehr über die Bedürfnisse anderer Menschen erfährt.
„Frag mal den Onkel Hubert ob er noch ein Stück Kuchen möchte und wie Tante Klara ihren Tee trinkt. Und wenn Hubert keinen Kuchen mehr möchte, bring ihm trotzdem noch ein Stück.“
Begrüßungsrituale werden bis zum Erbrechen geprobt:
„Sag schön Guten Tag und schau den Leuten dabei in die Augen, Kind.“
„Verabschiede dich ordentlich und vergesse nicht, dich zu bedanken.“

Natürlich ist das alles Blödsinn. Niemand wird mit einem solchen Gen geboren. Es handelt sich nur um grandiose Missverständnisse.
Ein Irrtum ist auch, dass Verkäuferinnen von Natur aus immer Kleingeld brauchen, alles was in den Regalen steht umsonst probieren dürfen und sich einen halben Monat von Produktproben ernähren können.
Täglich bringen Missverständnisse und Irrtümer Emma an den Rand der Verzweiflung.
„Wie schmeckt denn der da?“
„Oh tut mir Leid, den hab ich noch nicht probiert, aber wir verkaufen den häufig.“
„Also sie müssen doch wissen wie der schmeckt, schließlich wollen sie das Zeugs doch verkaufen.“

Ein Elend ist das manchmal. Da wird erwartet, dass sich Emma durch eine Produktpalette von mehreren Tausend Artikeln durchfrisst und hinterher auch noch weiß welche Brühe salziger schmeckt und ob die kurzen Nudeln bissfester sind als die langen. Außerdem erscheint es absolut logisch, dass Emma die ganze Nacht, nichts anderes tut als mit hundertfünfundneunzig verschiedenen Duschbädern zu duschen und sich jedes Wochenende mehrere Liter Bodylotion mit nach Hause nimmt, um zu testen bei welcher Sorte, Feinstrumpfhosen schwer übers Bein gleiten.
Selbstverständlich läuft nebenher die Waschmaschine, die gerade den Weichspülertest macht und durch die Kaffeemaschine blubbert ständig schwarze Brühe, die sensorisch geprüft und katalogisiert wird.

Um diesen Irrglauben auszurotten, veranstaltet Emma regelmäßig Verkostungen. Sollen die Leute doch selbst probieren und testen. Vielleicht merken sie dann, dass einem spätestens nach der zwölften Sorte vegetarischen Brotaufstrich, der Appetit gehörig vergeht.
Doch selbst bei einer solch reizend geplanten kostenlosen Probier-Häppchen-Orgie, bleibt der Kunde gedanklich auf dem falschen Pfad kleben.
Was Emma als Gelegenheit zum maßlosen Schlemmen und Testen anbietet, wird von Kunden meist als Attentat auf Körper und Geist gewertet. Da erklingen in bester Horrorszenenmanier, Stimmen im Unterbewusstsein, die einen davor warnen von fremden Menschen etwas anzunehmen.
Da steht Emma nun freundlich lächelnd und erinnert sich an Onkel Hubert.
Jedem Kunden hält sie galant ein Tablett mit kleinen Schnittchen entgegen und ermuntert ihn zum hemmungslosen Kosten.
Doch alles was so bereitwillig feilgeboten wird, ist anscheinend mit Misstrauen zu bestrafen. Entweder wird Emma mit ihrem Angebot völlig ignoriert und dient dem Ausprobieren des Röntgenblickes, der durch sie hindurch fällt, als wäre sie der Schlitz eines Zigarettenautomaten oder ihr wird wild fuchtelnd mitgeteilt, dass man gerade vom Arzt kommt und gar nichts Essen darf. Andere beteuern, dass sie gerade ein Bonbon im Mund haben und die Brutalos unter Emmas Kunden sagen einfach beherzt: „Nein!“
Nur die Weicheier, denen man auch einen Doppelpack Klosteine für den Preis für drei verkaufen könnte, bekommt Emma dazu, sich ein lukullisches Schnittchen zu genehmigen.
Bald ist Emma entmutigt und stellt ihr Tablett noch voll beladen ab. Wer möchte am Abend schon gerne mit dem Gefühl nach Hause gehen, dass er hunderte unschuldige Menschen mit erpresserischen Methoden zum Kauf einer Bärlauchcreme genötigt hat? Wer reiht sich ohne Gewissensbisse in die Dynastie bekannter Nepper und Schlepper ein?
Nein, Emma will nicht als Sirene des Einzelhandels gebrandmarkt sein, die unschuldige Käuferseelen anlockt um sie zu meucheln.
Kaum entfernt sich Emma, um sich einer ehrenwerteren Arbeit zu widmen, schleichen die Magenkranken und Bonbonlutscher ums Tablett und stopfen sich voll, bis der Bärlauch aus den Ohren winkt. Jetzt nutzen sie die Gunst der Stunde und füllen Maul- und Hosentaschen.
Also nähert sich Emma nur noch um unauffällig neuen Nachschub zu deponieren.

Es liegt also an Emma. An ihrer Gegenwart. An dem Irrglauben, dass Verkäuferinnen Kunden mit dem bösen Blick ins Unheil stürzen können, wenn man ihnen aus der Hand frisst.
Alles Irrtümer, Missverständnisse und Aberglaube.

Dabei fing alles so harmlos in einem Kinderzimmer an, als die kleine Emma aus Zeitungspapier kleine Tütchen rollte und Löwenzahn bündelte um ihre ersten großen Geschäfte zu machen.
lemonendres - 26. Mai, 20:32

ich mag ihre geschichten sehr.
auch ich war am donnerstag einkaufen an einem stand gab es chips. ja sie werden es nicht glauben, ich habe gewartet bis die verkäuferin weg war und dann hab ich alle sorten chips ausprobiert.
ein anstandsrest hab ich noch übrig gelassen, muss aber dazu auch sagen es waren kleine schälchen.

Tante Emma rechnet ab - 26. Mai, 21:20

Sie haben Glück

und sind vom bösen Blick verschont worden ;-)
Danke für ihren Besuch.
Übrigens, da vorne stehen noch ein paar Häppchen, bedienen sie sich. Nehmen sie reichlich!
NBerlin - 26. Mai, 23:06

Auch von mir ein großes Kompliment! Ich definier das mal anders, die wahren Weicheier sind die, die sich nicht trauen zu probieren! Ich gehöre dazu, denn ich habe Angst der Verkäuferin mitteilen zu müssen, dass es mir nicht schmeckt, oder schlimmer dass er mir schmeckt und dann für gefrässig gehalten zu werden! Besonders wenn ich das Produkt dann trotzdem nicht kaufe (aus Geldnot). Also schauen sie mal weg, ich stürz mich dann auf die Häppchen! ;-)

Sylvia-Maria - 27. Mai, 09:25

Liebe Emma - ich schließe mich NBerlin an - es ist ganz bestimmt nicht Ihre Gegenwart, oder der vermeintlich böse Blick... die Leute haben Angst zu sagen, ob es Ihnen schmeckt - oder nicht, weil man manchmal an so genannten "Probierständen" einfach nach seiner Meinungsäußerung "festgenagelt" wird. Wenn man sagt, dass es nicht schmeckt, wird der 10-seitige Fragebogen zwecks *subjektiverGeschmackserfassungsmeinungsäußerung* hervorgeholt - wenn man sagt, dass es schmeckt, hat man "schwuppdiwupps" 5 Gläser der Olivencreme gleich im Einkaufswagen. Die Menschen trauen dem "Probierangebot" an sich nicht. Ich habe solches, wie jetzt beschrieben, selbst schon erlebt.

Ich würde ein Schild neben das Probiertablett stellen..."Sie dürfen die von mir mit Liebe vorbereiteten Häppchen probieren - kaufen müssen sie allerdings selbst".

Das mit dem Tablett hinstellen, ist keine schlechte Idee - spart Zeit und Sie müssen nicht immer mit dem Tablett in der Ecke stehen.

Also - es liegt ganz bestimmt nicht an Ihnen Frau Emma - die Kunden lieben sie nämlich. :-))

Legatus - 27. Mai, 12:29

Ich probiere gerne und alles...und ärger mich dann meistens das das Geld fehlt um die Sachen die mir schmecken zu kaufen. Wenn es denn mal nit schmeckt, dann schmeckts halt nit und ich sag das auch...fertig aus :)

waschsalon - 27. Mai, 12:46

da probieren ist doch das schönste. nur gucken manche immer so bös, wenn man dann nix kauft...

Uwe (Gast) - 27. Mai, 13:41

Guten Morgen

[quote]die Brutalos unter Emmas Kunden sagen einfach beherzt: „Nein!“[/qoute]

Ich bevorzuge "Nein, Danke, mir ist schon schlecht"


Gruß

Uwe

Tante Emma rechnet ab - 27. Mai, 16:02

Druck

natürlich steht auch Emma unter Umsatzdruck, wenn es um Verkostungsaktionen geht.
Man muss schon dazu geboren sein, um so etwas richtig gerne zu tun. Deshalb gibt es ja die Promotion-Tanten. Die sind auf ein bestimmtes Produkt gedrillt und machen Umsatz. Und zwar ohne Gnade.
Leider haben genau diese Damen die Menschheit verdorben und misstrauisch gemacht :-)
Also schauen sie beim nächsten Mal genau hin, Verkäuferinnen, die dort ständig arbeiten, sind weitaus ungefährlicher, als die gestylten Marketing akrobaten. Man erkennt sie meist daran, dass ihre Kleidung den gleichen Farbton haben, wie das umworbene Produkt!
Mahlzeit ;-)

hausmeisterin (Gast) - 31. Mai, 20:50

Schöne Geschichte

Liebe Tante Emma!
Eine wirklich schöne Geschichte, besten Dank!
Und danke auch für die selbstlose Empfehlung von gestern. Meine Besucherzahlen klettern und klettern, soviel Ansturm sah die Pension noch nie!!

Ergebenst

Die Hausmeisterin
Tante Emma rechnet ab - 31. Mai, 21:00

So wars gedacht Frau Hausmeisterin ;-)
Schließlich sollten alle Zimmer belegt sein, dann wird das Gartenfest auch ein voller Erfolg!
WingedSweetness - 27. Mai, 23:56

Wie bitte, etwa noch nicht alle Nudeln durchprobiert? *g* Sehr schön, erinnert mich etwas an meinen Arbeitsalltag.

Allegra - 30. Mai, 10:30

...schoene geschichte....

...ich probiere immer...auch mit "mich-beobachtender-verkaeuferin"....
URVERTRAUEN IN DIE MENSCHHEIT UND EINE GEHOERIGE PORTION NAIVITAET (mir wird schon niemand, was boeses andrehen wollen)....sind wohl die gruende....und vielleicht auch ein leichter hunger.... ;-)))

Au-lait - 30. Mai, 14:59

"Löwenzahn bündeln" steht auf meiner Liste der "endlich mal machen"-Tätigkeiten weit oben. :)

Nielsson - 31. Mai, 14:00

Warum eigentlich?

Haben alle Menschen kein Geld, um sich das zu kaufen, was ihnen schmeckt?
(Zur Erklärung: Siehe einige der Posts weiter oben.)

Kyu (Gast) - 16. Jun, 16:02

Keine Ahnung.

Wenn Du die Antwort auf diese Frage finden solltest, tu mir einen Gefallen: Geh in die Politik und ändere diesen Zustand. Ich wäre Dir sehr verbunden. Schließlich will ich doch die leckeren Dinge von Emmas Probierständchen auch kaufen können ;)

Kunden-Identifikation:

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Was darf's denn sein?

Geschäft eröffnet seit:

6610 Tagen
Letzte Abrechnung: 8. Jan, 14:33

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