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Sonntag, 2. Juli 2006

Der Pollen-Willi

Emmas treuester Kunde ist wohl der ganz normale Wahnsinn. So erscheint er tagtäglich, mit nahezu stündlich wechselnden äußeren Erkennungsmerkmalen, in ihren kaloriengeschwängerten Hallen.
Mittlerweile hat sich Emma zwar an die Eigenarten vieler Kunden gewöhnt und wundert sich nur noch selten über so manch erstaunliches Einkaufsverhalten, doch wenn sie am Abend die wehen Füße in eine Schüssel mit prickelndem Latschenkieferwasser stellt, taucht in ihren Gedanken immer wieder ein Namenloser Irrer auf.
Namenlos, ja es ist wirklich so, dass die merkwürdigsten Kunden immer namenlos bleiben. Emma und ihre Kolleginnen sind ständig bemüht sich Nachnamen zu merken, um die Kundschaft auch ja standesgemäß begrüßen zu können. Das kommt prima an, denn nichts hört ein Kunde so gerne wie seinen eigenen Namen. Das richtige Müller oder Schulze zum rechten Zeitpunkt, steigert den Umsatz um mindestens eine Kondensmilch oder gar eine Packung Spültaps mit Kristallklar-Formel.
Doch die etwas Kauzigen, die sich meist in leichter geistiger Schräglage befinden, scheinen in der Tat keinen Namen zu haben, oder verbergen ihn, weil er möglicherweise ebenso wunderlich ist, wie sie selbst.
So kommt es, dass Emma die Wunderlichen einfach selbst tauft. Dann schnippt sie unbemerkt etwas Weizengrieß auf die Schultern des Schrägen und murmelt in Gedanken: “ Hiermit taufe ich dich Kraft meines Amtes auf den Namen XY. Ich werde dich trotz deines gefiederten Geistes, als guten Kunden schätzen und ehren und gelobe, nur an Sonn -und Feiertagen über deine Macke zu lachen.“
Wenn Emma gerade keinen Weizengrieß zur Hand hat, tut es auch Polenta oder Roggenmehl. Irgendeine aufgeplatzte Tüte gibt es schließlich immer.
Bei „Pollen-Willi“ ging die Sache beinahe schief, da Emma nur eine Tüte Haferflocken oder Buchstabennudeln zur Verfügung hatte. So schnippte sie hinter seinem Rücken vorsichtig mit einem kleinen p und einem abgebrochenen w, wobei das p ganz leicht sein linkes Ohr schrammte und sich in einer Falte von Willis Halstuch verfing.
Pollen-Willi, kommt einmal die Woche und seit einem guten Jahr kauft er jedes Mal drei Gläser Orangenblüten-Honig. Auch wenn er noch andere Sachen kauft - der Honig ist Standard.
Sind im Regal nur noch wenige Exemplare des süßen Klebers, wendet er sich besorgt an Emma:“ Sie bekommen schon wieder den Orangenblütenhonig? Es sind jetzt nur noch zwei im Regal.“
„Selbstverständlich, keine Sorge. Wir bekommen die Lieferung regelmäßig.“, beruhigt ihn Emma dann und ist immer sehr bemüht, dass Willis Regal gut gefüllt bleibt.
„Pollen-Willi“ kommt meist mit einem alten klapprigen Fahrrad auf dessen Gepäckträger immer ein leerer Weinkarton fest verzurrt ist. Gibt der Karton nach einigen Wochen langsam den Geist auf und wird unstabil, muss Emma einen neuen parat haben. Willi besteht dabei immer auf ein und denselben. Es muss genau dieser Karton sein - ein Zwölferkarton Weißherbst. Auch wenn andere Kartons dasselbe Format haben und auf Willis Gepäckträger passen würden, lehnt er jede andere Schachtel kategorisch ab. Meist meldet er seinen Bedarf eines neuen schon ein oder zwei Besuche vorher an, damit Emma genügend Zeit hat, das begehrte Exemplar für Willi beiseite zu stellen.
Willi trägt auch bei zweiunddreißig Grad im Schatten ein weißes Sweatshirt mit langen Ärmeln und ein Halstuch. Dann sind seine wenigen Haare nass geschwitzt und sein Schnauzer tropft. Ab fünfunddreißig Grad, trägt er dann allerdings eine kurze Hose zum warmen Sweater und fühlt sich sichtlich wohler.
Gemüse steht neben dem obligatorischen Honig auch immer auf Willis Einkaufsliste.
Damit er seine Wahl treffen kann, folgt er jedoch immer dem selben Ritual. Er dreht und wendet jedes Teil mehrmals, schaut auf das Schild, welches an jeder Gemüsekiste steckt und den Kunden über Preis und Herkunft informiert, und stellt Emma immer die gleiche Frage:“ Woher kommt das hier?“
Emma geht zu Willi und schaut gemeinsam mit ihm auf das Etikett und verkündet ihm das Herkunftsland. Dann greift er beherzt zu, geht zum nächsten Grünzeugs und startet seine Routine von Neuem.
Natürlich ist es für Kunden von Interesse ob ein Gurke in Italien, Spanien oder in der Pfalz das Licht der Welt erblickte, und so manch einer verwahrt sich verständlicher Weise gegen den Verzehr einer Tomate aus Holland, aber Willi hat noch niemals etwas auf Grund seiner Herkunft abgelehnt. Er stört sich nicht an französischem Salat oder Ägyptischen Salatkartoffeln, er will wahrscheinlich einfach nur wissen welche Sprache die Vitamine sprechen. Er würde selbst Karotten eines klingonischen Biobauern eine Chance geben.
Ja, Pollen-Willi ist weltoffen, ein kulinarischer Kosmopolit, auch wenn er sich vorwiegend von Orangeblütenhonig ernährt. Wie kann ein Mensch drei Pfund Honig in der Woche verzehren ohne dass er anfängt zu brummen oder überall kleben bleibt? Warum klebt Willi jedes Gemüseetikett aus der Wage sorgsam auf ein Stück Papier, faltet es klitzeklein und verstaut es in dem kleinsten Geldbeutel den Emma je gesehen hat?
Wenn Willi mit einem Schein bezahlt, dauert es oft mehrere Minuten bis der völlig entfaltet ist. Ordentlich und in exakt der gleichen Größe stecken mehrere Geldscheine in Willis Börschen.
Wohnt „Pollen-Willi“ in einer winzigen Einzimmer-Wabe? Die hingebungsvolle Art, mit der er die Gemüseetiketten aufs Papier klebt, deutet auf jeden Fall darauf hin, dass er alles mag, das klebt und womöglich braucht er den Honig um seinen leeren Weinkarton aufs Fahrrad zu kleben.
Das sind Fragen, die für Emma wohl immer ungeklärt bleiben werden und das mag sie trotz aller Neugier sehr. Sie mag es, die Menschen so zu nehmen, wie sie sind, sich Geschichten um ihre Wunderlichkeiten zu spinnen und darüber zu schmunzeln. Das tut sie mit Pollen-Willi und Buttermelk-Betty, genauso wie mit „Akrobat Schööön“, Charly Brown, dem Herrn Seidenraupe, der Glutamat-Lotte und Frau Wühlmaus.
Aber das ist eine andere Geschichte…

Donnerstag, 1. Juni 2006

Für Olli gibt’s kein Feierabend

Es gibt Mütter, die ihren Kindern ein Ohr wegquatschen, noch bevor diese über einen Wortschatz verfügen, der es ihnen ermöglicht sich verbal zu wehren.
Dieses Schicksal trifft auch den kleinen Olli, der gerade mal so groß ist, dass er seine neugierige Schnupfennase entlang der kühlen Metallkante von Emmas Kassentisch ziehen kann, dass es aussieht, als wären dort fünfzehn Schnecken entlang gelaufen.
“Mensch Olli, lass das doch. Komm her und putz dir die Nase.”
Seine Mutter hat eine Stimme, deren Klang schwer zu beschreiben ist. Am ehesten trifft es wohl die Tonlage eines Esels, der mit seinem Gemächt am Weidezaun hängen blieb. Das eigentlich Schlimme daran ist aber, dass Olli´s Mutter die längsten Sätze der Welt sprechen kann. Und das ohne Punkt und Komma. Außerdem beherrscht sie mit Sicherheit die Ohrenatmung.
Emma ist sich sicher, dass diese Frau der Grund für Ollis ständig volle Nase ist und sie kann ihn sogar verstehen.
“Olli komm her nichts anfassen nur schauen ja so ist das fein ach Olli leg das weg lass das liegen das brauchen wir nicht schau mal Olli da sind die Nudeln magst du Nudelchen zum Abendbrot Olli oder magst du lieber was anderes?”
Alles was Ollis Mutter macht erklärt sie ihm ganz genau. Dies geschieht natürlich in einer Lautstärke, die es allen Kunden ermöglicht an Ollis Schicksal teilzunehmen.
“Schau Olli jetzt nimmt die Mama die Nudelchen und tut sie in den Wagen legen zu den anderen Sachen die da schon liegen zu der Butter und den Eiern ein Päckchen Nudelchen nehmen wir Olli Hörnchennudeln sind das die mag der Papa gerne Olli lass das nichts anfassen leg das wieder hin”
Ollis einzige Chance sich Gehör zu verschaffen liegt darin, dass er lauter als seine Mutter ist und grundsätzlich das Gegenteil von dem tut was sie will.
Wenn sie Nudelchen anschauen will ist Olli eher nach Ölflaschenaufschrauben.
Am aller Liebsten geht er aber durch das Müsliregal. Dann streckt er den kurzen Arm aus, macht ihn ganz steif , geht zügig an allen Sorten vorbei und startet mit seinen Fingerchen seinen eigenen Domino-Day.
Während Emma das Geräusch der purzelnden Tüten und Schachteln schon erwartet hat, ist die Frau mit der Eselstimme völlig verdutzt und erstaunt wo sich ihr Kind rum treibt.
“Olli? Ollliwäääär? Wo bist du denn schon wieder? Komm mal schnell her zu Mutti. Olli?”
Doch der Filius läuft mit völlig apathischem Blick den Gang auf und ab und betrachtet sein Werk.
“Mensch Olli was machst du den da ich hab dir doch gesagt du sollst nichts anfassen sag mal kannst du denn nicht hören was die Mutti dir sagt”
Sie schnappt ihren Zwerg und steigt mit anhaltender Ermahnung über Ollis Fiasko. Wenigstens gibt sie darauf Acht, nicht auf die Müslitüten zu treten.
Emma folgt den Beiden unauffällig und beseitigt sämtliche Spuren sofort. Sie schraubt Deckel wieder zu, hebt Tüten und Päckchen auf, rückt Senfgläser zurecht und bringt Preisschilder wieder in waagerechte Position.
Irgendwann, wenn es Oliver endgültig zu langweilig wird, beginnt er damit lauthals zu verkünden, was er jetzt unbedingt haben muss.
“Würstchen, ich will diese Würstchen!!!”
“Olli das sind Soyawürstchen ich glaube nicht dass du die essen magst”
“Dooooooch ich will aber”
“Olli du magst die Würstchen nicht komm die Mutti nimmt richtige Würstchen für dich mit”
“Neiiiiiiiin ich will aber diese, diese diese Würstchen essen. Sonst esse ich gar nichts mehr. Nie wieder.”
Sie legt die Packung erst nach ausgiebiger Diskussion über Für und Wider endlich in den Wagen und steuert Richtung Kasse.
Emmas Nerven liegen blank und sie kann das Wort mit O nicht mehr hören. Dieser Name wird sie einmal mehr durch die Nacht begleiten. Mindestens jedoch bis Frau Heinemann mit ihrem Sebastian kommt: “Sebastian, leg das sofort wieder hin!”

Fürs Erste ist Emma jedoch froh, dass Olli und seine Mutter endlich an der Kasse angekommen sind. Ollis blaue Strickjacke hat mittlerweile doppelt so lange Ärmel als zu Anfang und die Spitzen seiner Gummistiefel quietschen schrill, als seine Mutti versucht ihn samt dem Einkaufswagen an die Kasse zu zerren. Er hängt brüllend unten am Wagen und versucht die Fahrt zu stoppen.
“Ollliiiiwääääär hör jetzt auf mit dem Blödsinn komm jetzt hier her und gib endlich Ruhe”

Ruhe, ja das wäre wohl genau das Richtige für Olli. Emma hat Mitleid mit dem kleinen Satansbraten und kann seine Reaktionen nur zu gut verstehen. Die Vorstellung, dass der arme Kerl den ganzen Tag zugelabert wird, treibt Emma einen Schauer über den Rücken.
“Ich will zahlen!”
Olli reißt seiner Mutter das Portemonnaie aus den Händen und schafft es natürlich, dass auf Anhieb sämtliche Münzen durch die Luft wirbeln.
“Ach Olli schau jetzt hast du alles runter geworfen komm sammle das schön wieder auf sonst können wir doch nicht bezahlen ach Kind was machst du auch für Blödsinn hier schau und alle Leute müssen nun warten ach Olli.”
Die Beiden tauchen vor Emmas Kasse unter und sammeln die Geldstücke wieder ein. Darauf folgt dann das Bezahlritual, auf das sich Olli immer freut.
Das solch ein Vorgang natürlich etwas länger dauert versteht sich von selbst.
“Ja Olli jetzt noch ein Fünf Cent Stück nein so ein braunes nicht das gelbe das ist ein Zehner schau so eins wie da schon liegt ja so eine Farbe genau gut machst du das”
Olli besteht natürlich noch auf das Wechselgeld, das ihm Emma in die kleine Hand schlichten muss, damit er es überhaupt halten kann. Er grinst Emma unsicher an und wundert sich wohl, dass es Menschen gibt, die nicht mit ihm sprechen. Es scheint im zu gefallen und seine Augen leuchten, als er wie immer zum Schluss seine Nase über die Kante des Kassentisches zieht.

“Geschafft,” denkt Emma, sprüht etwas Reinigungsmittel aufs Band und wischt mit einem Papiertuch die Schneckenstrasse entlang.

“Ja, ich hab’s mal wieder geschafft, aber der Olli, der hat noch lang nicht Feierabend.”

Dienstag, 30. Mai 2006

Der Laden brummt

Heute hört die Ladenschelle nicht auf zu läuten und Emma rennt mit roten Bäckchen durch die Regale. Seit der Eröffnung gab es noch keinen vergleichbaren Ansturm.
Das hat Emma unter anderem einem freundlichen Taxifahrer aus Paderborn zu verdanken. Dieser Passagier-Dompteur hat für Emmas Blog die Werbetrommel gerührt.
BLOGFORWARDING- nennt sich das ganze und ist hier entstanden.
Eine nette Idee wie Emma findet und natürlich wird sie ihrer Verpflichtung nachkommen, wiederum 3 Blogs zu empfehlen.
Vorher möchte Emma aber die Gelegenheit nutzen, sich bei der mittlerweile mächtig angewachsenen treuen Kundschaft zu bedanken.
Noch vor kurzem hätte sie nie gedacht, dass irgend jemand daran Interesse hätte, ihre Geschichten zu lesen. Jeder Kommentar zeigt jedoch, dass es richtig war "Durchgehend geöffnet" ins Leben zu rufen.
Zur Zeit ist Emma leider mehr mit ihren schmerzenden Beinen beschäftigt und ihr Ischiasnerv hält auch nicht viel vom Bloggen. Um so mehr freut sie sich über den regelmäßigen Besuch ihrer geschätzten Kundschaft, auch wenn es manchmal etwas länger dauert, bis die Regale wieder gefüllt sind.
Sollten Sie also mal etwas länger an der Käsetheke stehen müssen bis sie an der Reihe sind- keine Sorge, Emma robbt irgendwo im Laden herum und ist auf dem Weg zu Ihnen ;-)

hier also nun meine drei Empfehlungen, schauen sie vorbei, es wird sich lohnen

1. Eskorte fragile - Alles, nur nicht oberflächlich.
2. Pension Habenichts - Eine prima Idee, die sehr schön umgesetzt wurde.
3. heart ot lothian - bisher unentdeckte gute Schreibe

Freitag, 26. Mai 2006

Miss Verständnis

„Es ist ein Mädchen!“
Ein zuckersüßes, goldiges Mädchen, das schon nach kürzester Zeit den ersten großen Fehler begeht: Es lächelt freundlich.
Hinter dieser grandiosen Fähigkeit, der wohlgesinnten Kontaktaufnahme mit seiner Umwelt, verbirgt sich ein folgenschwerer Geburts-Defekt. Das Emma-Gen.
Die Tatsache allein wäre noch keine ernsthafte Bedrohung, doch wie so oft im Leben einer Frau, spielt das Schicksal eine bedeutende Rolle. Nämlich dann, wenn am vierten Geburtstag ein Kaufladen mit allem Pipapo, fertig aufgebaut im Kinderzimmer steht.
Noch erleuchtet Winnie the Pooh die ersten Kassiervorgänge, doch schon bald wird grelles Neonlicht die unschuldige Haut, freundlich aber fahl schimmernd, in den Dienst der Menschheit stellen.
Richtungweisend und gefährlich sind auch die folgenden Jahre, in denen oft exzessiv geübt wird, wie man mehr über die Bedürfnisse anderer Menschen erfährt.
„Frag mal den Onkel Hubert ob er noch ein Stück Kuchen möchte und wie Tante Klara ihren Tee trinkt. Und wenn Hubert keinen Kuchen mehr möchte, bring ihm trotzdem noch ein Stück.“
Begrüßungsrituale werden bis zum Erbrechen geprobt:
„Sag schön Guten Tag und schau den Leuten dabei in die Augen, Kind.“
„Verabschiede dich ordentlich und vergesse nicht, dich zu bedanken.“

Natürlich ist das alles Blödsinn. Niemand wird mit einem solchen Gen geboren. Es handelt sich nur um grandiose Missverständnisse.
Ein Irrtum ist auch, dass Verkäuferinnen von Natur aus immer Kleingeld brauchen, alles was in den Regalen steht umsonst probieren dürfen und sich einen halben Monat von Produktproben ernähren können.
Täglich bringen Missverständnisse und Irrtümer Emma an den Rand der Verzweiflung.
„Wie schmeckt denn der da?“
„Oh tut mir Leid, den hab ich noch nicht probiert, aber wir verkaufen den häufig.“
„Also sie müssen doch wissen wie der schmeckt, schließlich wollen sie das Zeugs doch verkaufen.“

Ein Elend ist das manchmal. Da wird erwartet, dass sich Emma durch eine Produktpalette von mehreren Tausend Artikeln durchfrisst und hinterher auch noch weiß welche Brühe salziger schmeckt und ob die kurzen Nudeln bissfester sind als die langen. Außerdem erscheint es absolut logisch, dass Emma die ganze Nacht, nichts anderes tut als mit hundertfünfundneunzig verschiedenen Duschbädern zu duschen und sich jedes Wochenende mehrere Liter Bodylotion mit nach Hause nimmt, um zu testen bei welcher Sorte, Feinstrumpfhosen schwer übers Bein gleiten.
Selbstverständlich läuft nebenher die Waschmaschine, die gerade den Weichspülertest macht und durch die Kaffeemaschine blubbert ständig schwarze Brühe, die sensorisch geprüft und katalogisiert wird.

Um diesen Irrglauben auszurotten, veranstaltet Emma regelmäßig Verkostungen. Sollen die Leute doch selbst probieren und testen. Vielleicht merken sie dann, dass einem spätestens nach der zwölften Sorte vegetarischen Brotaufstrich, der Appetit gehörig vergeht.
Doch selbst bei einer solch reizend geplanten kostenlosen Probier-Häppchen-Orgie, bleibt der Kunde gedanklich auf dem falschen Pfad kleben.
Was Emma als Gelegenheit zum maßlosen Schlemmen und Testen anbietet, wird von Kunden meist als Attentat auf Körper und Geist gewertet. Da erklingen in bester Horrorszenenmanier, Stimmen im Unterbewusstsein, die einen davor warnen von fremden Menschen etwas anzunehmen.
Da steht Emma nun freundlich lächelnd und erinnert sich an Onkel Hubert.
Jedem Kunden hält sie galant ein Tablett mit kleinen Schnittchen entgegen und ermuntert ihn zum hemmungslosen Kosten.
Doch alles was so bereitwillig feilgeboten wird, ist anscheinend mit Misstrauen zu bestrafen. Entweder wird Emma mit ihrem Angebot völlig ignoriert und dient dem Ausprobieren des Röntgenblickes, der durch sie hindurch fällt, als wäre sie der Schlitz eines Zigarettenautomaten oder ihr wird wild fuchtelnd mitgeteilt, dass man gerade vom Arzt kommt und gar nichts Essen darf. Andere beteuern, dass sie gerade ein Bonbon im Mund haben und die Brutalos unter Emmas Kunden sagen einfach beherzt: „Nein!“
Nur die Weicheier, denen man auch einen Doppelpack Klosteine für den Preis für drei verkaufen könnte, bekommt Emma dazu, sich ein lukullisches Schnittchen zu genehmigen.
Bald ist Emma entmutigt und stellt ihr Tablett noch voll beladen ab. Wer möchte am Abend schon gerne mit dem Gefühl nach Hause gehen, dass er hunderte unschuldige Menschen mit erpresserischen Methoden zum Kauf einer Bärlauchcreme genötigt hat? Wer reiht sich ohne Gewissensbisse in die Dynastie bekannter Nepper und Schlepper ein?
Nein, Emma will nicht als Sirene des Einzelhandels gebrandmarkt sein, die unschuldige Käuferseelen anlockt um sie zu meucheln.
Kaum entfernt sich Emma, um sich einer ehrenwerteren Arbeit zu widmen, schleichen die Magenkranken und Bonbonlutscher ums Tablett und stopfen sich voll, bis der Bärlauch aus den Ohren winkt. Jetzt nutzen sie die Gunst der Stunde und füllen Maul- und Hosentaschen.
Also nähert sich Emma nur noch um unauffällig neuen Nachschub zu deponieren.

Es liegt also an Emma. An ihrer Gegenwart. An dem Irrglauben, dass Verkäuferinnen Kunden mit dem bösen Blick ins Unheil stürzen können, wenn man ihnen aus der Hand frisst.
Alles Irrtümer, Missverständnisse und Aberglaube.

Dabei fing alles so harmlos in einem Kinderzimmer an, als die kleine Emma aus Zeitungspapier kleine Tütchen rollte und Löwenzahn bündelte um ihre ersten großen Geschäfte zu machen.

Montag, 15. Mai 2006

Betagte Elstern

Sechs coole, luftgefüllte Turnschuhe, ein Pfund Styling-Gel, vier zugestopfte Ohren und drei Jeanshosen, deren Volumen sich kaum von dem einer Hüpfburg unterscheiden, bringen nahezu jede Verkäuferin in Habachtstellung.
Sobald das erste lässige „Sswiffft“ aus den Breakdance-Reifen zischt, stehen die drei Kandidaten, die statistisch gesehen nur über eins Komma vier Hintern verfügen, unter Beobachtung.
Jetzt sind sämtliche Augenwinkel damit beschäftigt, jeden Move zu verfolgen. Selbst Kunden kommen nun ihrer angeblichen Bürgerpflicht nach und weisen Emma darauf hin, dass sich der Underground um die Alkopops tummelt.
Doch Emma hat die Erfahrung gemacht, dass die Gangsta mit erhöhter Talgproduktion und dem mehrstimmigen Lachen, meist harmlos sind. Schließlich beinhaltet ihr Warenangebot nicht gerade die begehrtesten Waren dieser Klientel.
Schaut sich Emma die Statistik des Warenschwundes genauer an, fehlen weitaus mehr Knoblauchkapseln als Kaugummis.
Da Exorzisten kaum zu Emmas Stammkunden zählen, lässt diese Tatsache nur folgenden Schluss zu:
Die grauen Panther.
Ja, auch wenn es verwerflich ist, diese Aussage zu treffen – es sind definitiv die Alten, die man als Verkäuferin im Auge behalten sollte.
Sicher ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass ein hoher Anteil an Rentnern genau zu den Stoßzeiten zum Einkaufen geht. Zwar hätten sie den ganzen Tag Zeit, aber es ist viel einfacher im Getümmel der Betriebsamkeit unter zu tauchen, um sich seine Ration blasenstärkende Kürbiskerne zu organisieren.
Respekt und Ehrfurcht wird von uns allen verlangt, wenn es um die hageren Gestalten mit brüchiger Stimme geht. Doch ihr kriminelles Potential steht dem eines Pubertierenden in nichts nach. Zumindest nicht was den Ladendiebstahl betrifft.
Gut, zugegeben, der Lord der Greise klemmt sich vielleicht seltener eine Gehhilfe mit cooler Outdoor-Bereifung und die neuste CD, Pavarotti feat. Mozart, steht auch nicht ganz oben in den Top-Ten, aber auch der senile Langfinger hat seine Bedürfnisse.
Wer diese Situation offen anspricht, ist schnell von der Gesellschaft geächtet. Es wird nicht darüber geredet und es gibt kaum etwas Unangenehmeres für eine Verkäuferin als eine fossile Kundin dabei zu beobachten, wie nach dem dritten Päckchen Brühwürfel eine Schachtel Weißdornkapseln, im Übergangsmantel verschwindet.
Der erste Gedanke ist der Verwirrtheit gewidmet, der zweite ist von unsagbarem Mitleid begleitet:
„Die arme Omi. Sie weiß bestimmt nicht, dass sie schon Brühe eingesteckt hat und lebt vielleicht in dem Glauben, dass ihre Lebensmittel mit der Miete vom Konto abgebucht werden.“
Die Hemmschwelle eine solche Kundin als diebische Elster zu entlarven ist enorm hoch.

Eigentlich gibt es überhaupt keine bessere Grundvoraussetzung, um straffrei der Beschaffungskriminalität zu frönen, als alt zu sein.
Spricht Emma Opa Kowalsky darauf an, dass sich in seiner Aktenmappe noch eine Dose Thunfisch und eine Flasche Bitterstern befinden, wird dieser weder kreidebleich noch puterrot. Er schaut sie mit trübem Blick hilflos an und brüllt ihr ein „Häh?“ entgegen. Bereitwillig wird er ihr zitternd die Tasche öffnen und versichern, dass er gar keinen Thunfisch essen darf.
Die ominöse Ware wird zurück geräumt und auf eine Anzeige wird selbstverständlich verzichtet. Immerhin könnte sich eine Aufnahme der Personalien mit den ganzen „Häh´s“ und „Wer hat gebaut?“ über Stunden hin ziehen und Emma ist der Feierabend nun mal heilig.
Emma stellt sich oft die Frage, was ihre reifen Kunden mit der heißen Ware wohl machen. Wird da auf Teufel komm raus im St. Anna Stift die Rente, mit dem Verkauf von Herztonikum, aufgestockt? Wird da mit Haftpulver gedealt um die nächste Butterfahrt zu finanzieren? Vielleicht legt es der eine oder andere auch einfach darauf an in den Knast zu wandern, weil das Seniorenheim zu teuer ist.
Schreckliche Gedanken, die Emma überfallen.
All diese dezent in grau oder schwarz gehaltenen Trollis, die den gebrechlichen Leutchen den Einkauf erleichtern, sind gerammelt voll mit Diebesgut. Die Altenheime sind eine gut getarnte Einrichtung des organisierten Verbrechens und die hautfarbenen Hörgeräte, Indiz für den Funkkontakt zu den Veteranen, die das Ablenkungsmanöver an der Kasse inszenieren.
Gehhilfen werden zu rasanten Fluchtwagen und Krückstöcke verhindern, wenn sie gut platziert werden, jede Verfolgungsjagd.
Nicht dass Sie jetzt denken Emma hätte was gegen ihre reife Kundschaft. Sie bereichern ihren Alltag mit Geschichten aus ihrem Leben, sie sind treue Kunden, denen Emma gerne immer weiterhilft und die sich mit selbstgebackenen Plätzchen dafür bedanken. Es sind Kunden, die regelmäßig erscheinen und Emma wissen lassen welcher Wochentag ist. Und immer wieder geschieht es, dass der wiederholte Blick auf die Uhr oder in den Kalender, vergeblich ist. Dann bleibt jede Woche der kleine Roggenlaib in der Brottheke liegen und Emma wird ihn nicht gleich abbestellen.
Auch das sind Kunden, die mit schlürfenden Schrittchen durch die Regale wandern, ihr Geld aus Briefkuverts ziehen und das Münzgeld nicht mehr greifen können. Da darf Emma dann beherzt ins fremde Portemonnaie greifen und ist sich bewusst wie viel Vertrauen das verlangt. Ein Vertrauen, das Emma grundsätzlich allen Kunden gegenüber hat. Zumindest so lange, bis sich die Hosentaschen der Zahnspangenfraktion ausbeulen und das Pfeifen der Hörgeräte nach Morsezeichen klingt.
Selbst an Langfingern nagt also der Zahn der Zeit. Und wenn sich auch das Beuteschema verändert, so bleiben doch die markanten Erkennungsmerkmale dieselben:
Stöpsel in den Ohren, bequeme Schuhe und zu viel Hose für zu wenig Hintern.

Mittwoch, 10. Mai 2006

Im Märzen der Bauer…

„Haben sie Äpfel aus neuer Ernte?“
„Ja, hier. Der Royal Gala ist ganz neu eingetroffen.“
„Wo kommt der her?“
„Chile.“
„Chile? Haben sie etwa keine deutschen Äpfel?“
„Schon, aber keine neue Ernte.“
„Und warum nicht?“
„Nun, es ist erst Anfang Mai.“
„Was hat denn das damit zu tun?“
„Die Apfelbäume beginnen gerade mal zu blühen.“
„Also ihr findet auch für alles ne Ausrede.“

Ja, Emma schiebt gerne alles auf das Wetter. Das hat sie schon Ende Januar gemacht:

„Woher ist der Kopfsalat?“
„Frankreich.“
„Aus Frankreich? Ne den will ich nicht.“
„Ist aber ne prima BIO-Qualität. Demeter - Anbau.“
„Ne, also den Franzosen trau ich nicht, womöglich ist der auch noch aus dem Gewächshaus.“
„Natürlich, bei den Temperaturen gibt es in Frankreich noch keinen Freilandsalat.“
„Und deutschen haben sie keinen?“
„Nur Kartoffel- oder Wurstsalat.“


Da besitzen sie die Fähigkeit, ganze Ketten mehrfach ungesättigter Fettsäuren runter zu beten wie einen Rosenkranz, und sind dann total entsetzt wenn sie erfahren, dass Radieschen an Heilig Abend in einem beheizten Hochbeet das Krippenspiel verfolgen.
Die Erde ist eine Scheibe, Kinder bringt der Storch und Rosenkohl gedeiht in Netzen auf dem Feld. Außerdem wissen alle, dass Heidi Klum die fettfreien Gummibärchen erfunden hat.
Sie glauben einem, dass Nachtcreme müde macht und sie deshalb nicht am Tag verwendet werden soll. Rechtsdrehende Joghurtkulturen haben den Friedens-Walzer erfunden und Cholesterin ist eine Erfindung der NASA.
Aber wenn Emma sagt:
„Meerrettich ist im Moment so teuer weil sämtliche Taucher streiken“,
dann glaubt das kein Mensch.

Montag, 8. Mai 2006

Vorsicht ätzend !

Es gibt Tage an denen sich sämtliche Unarten der Menschheit unter einer alten Platane versammeln.
Selbst nach Jahrzehnten steht so ein Baum noch mickrig da und auch die verwegenste Promenadenmischung, verweigert hier das Wasserlassen.
Die Wolke aus purer Ignoranz und Flegelhaftigkeit zieht wie Blütenstaub die Straße entlang und sucht sich den nächsten Laden, wobei es keine Rolle spielt, ob dieser schon geöffnet hat.

Es sind noch gute fünf Minuten bis Emmas Pforten sich öffnen und hinter den Kulissen wird hektisch das große Ereignis vorbereitet.
Kunden gehen ja im Allgemeinen davon aus, dass die Minuten vor Ladenöffnung reine Schikane sind. Eigentlich sind Verkäuferinnen ja schon seit Stunden im Haus und stehen kichernd und Kaffe schlürfenden hinter der verdunkelten Theke und drehen den ersten Pfannkuchengesichtern eine lange Nase. Dienstleistende würden niemals, auch nur eine Sekunde, zu früh einen Laden öffnen, um einen pünktlichen Kunden zu empfangen.
Nein, wo denken sie hin?
Es ist die Macht der kleinen Frau, die den Schlüssel hat. Und der wird erst Schlag halb neun umgedreht. Aus Prinzip und Boshaftigkeit, versteht sich.
Die zwei Stunden vor Ladenöffnung ist eine Verkäuferin nur im Laden, um sich ordentlich zu schminken und die Fingernägel zu richten. Frisches Obst und Gemüse wächst ja bekanntlich während der Nacht nach und der klägliche Rest von ein zwei Milchflaschen und einem Laib Brot, ist ja schließlich schnell eingeräumt.
Emma kann Pfannkuchengesichter nicht ausstehen. Sie pressen ihre Visage so stark gegen die Scheibe der Eingangstür, dass sie nur noch schwer als menschliche Wesen zu identifizieren sind. So spähen sie in den dunklen Laden um etwas Lebendiges zu entdecken, das man noch vor dem ganzen Trubel etwas nerven kann. In den Wintermonaten, wenn es draußen noch dunkel ist, kann einen ein solcher Anblick zu Tode erstarren lassen.
Emma stellt grundsätzlich Rollwagen mit den leeren Kartons von innen an die Türen, damit eindeutig ersichtlich ist, dass es hier noch kein Reinkommen gibt.

Der Laden ist noch dunkel, die Tür ist mit Kartons verrammelt und die Uhr schlägt noch nicht halb Neun.
Mit massivem Druck und enormer Kraft schiebt sich die Tür gerade so weit auf, dass ein schmaler, bebrillter Kopf gerade bis zu den Ohren durchpasst:
„Haaaben sie schon geööffnet?“ kreischt es verdächtig biologisch durchs Ladendunkel. Es ist eine Müslikandidaten, die anscheinend noch weiß was Revolution heißt.
„Nein, SIE haben geöffnet!“ Das ist Emma, die weiß wie man einen Putsch verhindert.
„Bitte gedulden sie sich noch ein paar Minuten, wir sind gleich so weit.“
„Kein Problem. Ich dachte nur ich frag mal nach.“
Ich dachte nur… Was dachte die Spargelnixe? Dachte sie wir verbarrikadieren uns vor dem Pöbel und machen hier eine spirituelle Hanf-Session?
Die Tür fällt zurück ins Schloss und Emma kann sich das Kichern nicht verkneifen, als sich die Henna-Pracht zum einen Teil draußen, zum anderen Teil drinnen befindet.
„Oh, Sorry, meine Haare.“
Platanentage fangen genau so an und Emma holt noch einmal tief Luft, bevor die eigentliche Plage beginnt.
Wortlos treten Menschen ein, die mit den Worten „Guten Morgen“ ein ernsthaftes Problem zu haben scheinen. Ja, manche sind sichtlich empört über diese plumpe Anmache:
„Grüßen freundlich und am Ende knöpfen sie mir mein Geld ab.“
„Die sollen mal schön grüßen, dafür werden sie ja bezahlt. Ich nicht.“
Wie Leuchtbänder ziehen solche und ähnliche Sätze, gut lesbar durch den Raum.

Wie groß so ein Einkauf wird, weiß kein Mensch im Voraus. Das ist klar. Drum nimmt man vorsichtshalber ein kleines Körbchen anstatt den großen Wagen, für den man bei Emma nicht einmal einen Euro braucht.
Das elegante Gitter mit Tragegriff ist so herrlich unpraktisch und ständig im Weg wenn man ins Regal greifen will. Schließlich braucht man beide Hände um die es in den Cornflakes Tüten richtig krachen zu lassen.
Also stellt die liebenswerte Kundin das Körbchen einfach immer wieder ab. Logisch.
Damit es am Wegesrand nicht völlig undekorativ rum steht, stellt es die Frau mit Sinn fürs Wohnliche, unter Berücksichtigung aller Regeln des Feng Shui, mitten in den Weg.
Vorzugsweise am Anfang einer Regalreihe, damit kein Eindringling unbemerkt das Revier betreten kann.
Diese Methode wird sofort von den Anderen übernommen. Es scheint schick und einfach zickig und hipp zu sein, wenn man herablassend einen Stolpernden von oben bis unten anschauen kann und ein „Pass halt auf du Trampel“, gar nicht mehr aussprechen muss.
„Entschuldigung, ich hab das hier wohl unpassend abgestellt“, ist und bleibt ein absolutes Zeichen von Schwäche und wir tunlichst vermieden.
So kommt es an diesen Tagen vor, dass Emma wie ein Storch durch den Laden stapft. Wenn sie in guter Form ist, bleibt sie auch nur an jedem dritten, hoch stehenden Griff mit dem Fuß hängen und spürt nach einer Stunde auch keinen Schmerz mehr im Knöchelbereich.
Die absolute Krönung erfolgt dann an der Kasse.
Der völlig überladene Korb wird mit einem Blick der Verachtung aufs Band gewuchtet.
Ja, Kassen werden grundsätzlich aus Boshaftigkeit so hoch gebaut. Es soll dem Kunden richtig die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Er soll überlegen ob er Reißen oder Stemmen soll. Und diese ganze fiese Sache hat die Verkäuferin, die bequem auf ihrem Stühlchen sitzt, unter Kontrolle:
Sie betätigt mit dem Fuß, unter der Kasse eine hydraulische Pumpe, die den Kassentisch immer noch ein Stückchen anhebt.
Diese Unverschämtheit wird bestraft, schließlich ist der Kunde König.
Ein halber Kubikmeter Ware lauert zusammen gestaucht hinter Gittern.
Und da lauert er.
Er wartet und lauert.
Noch immer wartet er.
Die Königin ist erschöpft und blickt auf den Korb.
Emma ist erstaunt und blickt auf den Korb.
Die Königin ist empört und blickt auf Emma.
Emma ist verwundert und blickt zur Königin auf und dann auf den Korb.
Die Königin verschränkt die Arme vor der stolzen Brust und blickt auf den Korb und dann auf Emma.
Vielleicht soll Emma den Inhalt einfach Schätzen, oder durch ihre Röntgenmaschine schleusen. Eventuell sollte sie jetzt sagen, dass das Körbchen heut aufs Haus geht und fragen ob sie es der Meisterin zum Gespann tragen soll.
Die Schlange an der Kasse wächst und wird heute ihrem Namen gerecht werden, indem sie gut beobachtet um anschließend den Ablauf der Prozedur, genauestens einzuhalten.

Die Königin gewinnt:
Emma zupft und zerrt die Tütchen und Schächtelchen aus dem Körbchen. Vor Wut könnte sie die Königin, mindestens eine Stunde lang, nach Sonnenuntergang, in den adeligen Hintern treten. Doch da hätte die Gewerkschaft der Könige was einzuwenden.

Ist der Korb dann endlich ausgeräumt, kann Emma anfangen die Waren zu scannen.
Dieser Vorgang wird von der Königin genau überwacht, was es ihr natürlich nicht möglich macht, bereits registrierte Ware einzupacken oder ans Ende der Kasse zu schieben.
Nein, da bleiben Majestät eisern. Die adelige Position wird nicht verändert.
Für Emma ist es ein heikler Moment der Dame vorsichtig beizubringen, dass sie für die Schätze, die sie eben eingesammelt hat, Golddukaten aus ihrem Beutel zaubern muss.

Es ist absolut erstaunlich wie irritiert Kunden sein können, wenn sie erfahren, dass das alles richtiges Geld kostet. Dann fällt ihnen ein, dass sie mal über ein Portemonnaie verfügt haben. Aber wo ist dieses Teil, war es aus Leder oder war es doch der kleine schwarze Koffer?
Es kann verdammt lang dauern, bis diese Gedankeschleife zu Ende gedacht ist.

Zögerlich bezahlt Madame und schaut völlig ratlos auf den Haufen Waren vor sich.
„Hätten sie vielleicht `ne Tüüüte?“
„Ja, Platanen-Königin. ICH hab ´ne Tüte. Ich habe sogar ganz viele Tüten. Sie etwa nicht?“

Das wird Emma am letzten Platanentag vor ihrem Ruhestand sagen.
Nein, sie wird es zwitschern, sie wird es laut singen und dazu ihren Namen tanzen.

Sonntag, 7. Mai 2006

Organisiertes Suppenattentat

So manch eine Gemüsesorte trägt einen Namen, der eher kurios als appetitlich klingt.
Putzig und fast kosenamentauglich wäre da das Navet – Rübchen: ein kleiner violettwangiger Freund der etwas plumperen Steckrübe.
Sieglinde ist wohl die bekannteste aller Kartoffeln und trifft sich gerne mit dem Stuttgarter Riesen in einer großen Schüssel Erdäpfelsalat.
Als Emma mit dem Verkauf von Gemüse noch nicht so vertraut war, irritierte sie so mancher Wortwechsel, bei dem sie schon mal überlegte, ob sie entrüstet ein Hausverbot aussprechen soll:
„Pastinake?“
„Nein, ich spreche nur Deutsch und Englisch.“
„Hammelmöhre.“
„Das find ich jetzt aber nicht nett.“
Der wortkarge Kunde entpuppte sich dann zum Glück als ein Liebhaber aromatischen Wurzelgemüses und bekam natürlich was er forderte.
So war es also höchste Zeit für Emma sich in Sachen Gemüse und ihren Bezeichnungen weiter zu bilden.
Nach eingehender Warenkunde war sie dann auch nicht mehr empört, wenn sich jemand danach erkundigte ob sie Physalis hat.
Sie lernte „Ugli, den Hässlichen“ kennen, der sich als wohlschmeckender Apfel zeigte, erfuhr, dass Topinambur nichts mit Musik zu tun hatte und dass ein Hokkaido alles andere als gefährlich ist.
Doch nicht nur Emma verstrickte sich zeitweise im Gewirr der abenteuerlichen Obst- und Gemüsenamen.

„Haben sie nur so große Hokkaido-Kürbisse?“
Eine schicke Dame stand vor einem Berg herrlich orange leuchtenden Kürbissen, die Emma aufgetürmt hatte, als erwarte sie Münchhausen zu einer seiner großen Taten. Sie war stolz auf die Prachtexemplare, die jeden Medizinball vor Neid hätte erblassen lassen.
„Ja, im Moment haben wir nur die schönen Großen hier.“
„Schade, ich bräuchte ein paar ganz kleine, so faustgroße.“
„Ach, ich verstehe. Sie möchten Kürbissuppe machen und die kleinen als Suppentassen verwenden.“
„Ja genau, wir bekommen am Wochenende Besuch und da möchte ich gerne etwas Besonderes.“
„Eine schöne Idee. Ich kann ihnen bis Freitag aber gerne ein Dutzend kleinere Hokkaidos besorgen.“
„Das wäre nett. Kann ich mich darauf verlassen?“
„Selbstverständlich, kein Problem.“

Emma bestellte für die Kundin faustgroße Hokkaidos und hoffte den ganzen Freitag, dass die Kundin ihre Kürbisse auch abholt. Immerhin scheint es weit verbreitet zu sein, dass Menschen an einer momentan akuten Artikelnot leiden, die nur durch eine Extrabestellung geheilt werden kann. Allerdings verschwindet dieser Zustand meist schon nach Verlassen des Ladens.
Emma sah sich schon dabei, wie sie zwölf Kürbisse aushöhlt. Sie könnte die Weihnachtsbeleuchtung aus dem Keller holen und eine Bio-Lichterkette basteln um gegen Genfood zu demonstrieren.
Ein Herr in dunklem Anzug, riss mit etwas zu viel Schwung die Ladentür auf und blieb im Eingangsbereich stehen. Er wirkte irritiert und hatte wohl schon lange kein Lebensmittelgeschäft mehr von innen gesehen.
Orientierungslos blickte er sich um, während er breitbeinig da stand und seinen mächtigen Schlüsselbund hin und her schlenkerte.
Männer mit großen Autos tun das häufig. Es gibt ihnen in unsicheren Gefilden die Chance auf Aufmerksamkeit. Sie könnten nach dem Betreten des Geschäftes auch laut brüllen:
“Ich fahre hier den dicksten Wagen, also bin auch ich der Erste, der hier bedient wird.“
Emma hatte seinen stummen Ruf vernommen und kümmerte sich gleich um den Nobelkutscher, bevor dieser sich mit dem Schlüsselbund noch verletzte.
„Guten Tag, was kann ich für sie tun?“
Emma versuchte dem Herrn das Gefühl zu geben, er befände sich in einem Autohaus und hätte ihm am liebsten gleich eine Probefahrt mit einem Einkaufswagen angeboten.
Der Kunde schaute misstrauisch nach rechts und links, als wäre es ihm wichtig, dass niemand hört was er zu sagen hatte.
„Ähhm“ räusperte er sich und warf den Schlüsselbund etwas in die Höhe um ihn gekonnt, mit einem lauten „Schnapp“ in seiner Hand verschwinden zu lassen.
Noch einmal schaute er wie ein Agent in geheimer Mission über die Schulter.
„Ja, ich möchte die Al Kaidas abholen.“
Ein Ruck ging durch Emma. „Jetzt nur nicht lachen“, dachte sie.
Dieser James Bond würde weder das ertragen, noch das Berichtigen seiner Gemüsebezeichnung.
Emmas Gesicht war nun genauso ernst, wie das des Agenten in geheimer Kürbismission.
„Verstehe. Das Dutzend. Ihre Frau war hier.“
„Ja, genau. Ich hatte einen Termin hier in der Nähe, deshalb komme ich um die Al Kaidas zu holen.“
Agenten wie dieser, betonen grundsätzlich, dass sie rein zufällig in der Nähe waren und sonst gar nichts mit Einkaufen am Hut haben. Sie fürchten sich regelrecht vor diesem Missverständnis. Emma zeigte sich verständnisvoll und bemühte sich sehr die Angelegenheit so dezent wie möglich über die Bühne zu bringen.
„Folgen sie mir unauffällig.“
Emma hatte große Mühe nicht zu lachen und hoffte, James Bond würde den Namen der Kürbisse nicht mehr erwähnen.
Sie ging mit ihm Richtung Lager und übergab ihm einen Karton. Sie hob den Deckel und deutete auf die zwölf kleinen Hokkaidos:
„Das sind sie.“
„So klein?“
„Ihre Frau wollte die kleinen.“
„Ne, die sind ja winzig. Haben sie keine größeren?“
„Doch ich hab riesige, aber ihre Frau hatte…“
„Wo sind die großen?“
Emma deutete nach vorne zur Gemüseabteilung und folgte James Bond, der mit großen Schritten auf die Münchhausen-Pyramide zusteuerte.
„Ja, das sind Al Kaidas,“ strahlte er nun, als hätte er neue Winterreifen entdeckt.
„Da nehm ich noch vier Stück davon, die Dinger hier sind ja ein Witz.“ Verächtlich blickte er auf den Karton, den ihm Emma abgenommen hatte, damit er sich den großen Kürbissen widmen konnte.
„Ha, da wird meine Frau staunen, wenn sie die sieht.“
„Aber ihre Frau wollte….“
„Ach was, die hier sind viel besser.“
„Ihre Frau hat die kleinen doch extra bestellt.“
Nun zeigte er sich als Mann von Welt, als Kenner der Szene, einfach als prima Typ und nahm, ohne sich nach dem Preis zu erkundigen die Kleinen und die Großen.
Der Suppen-Agent trug stolz die größten Hokkaidos davon, die Emma je hatte.
Was ein anständiges Mannsbild ist, kennt sich mit Al Kaida eben aus.

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